„Das erlebt kein Pfarrer in Hamburg“
Porträt Pater Thomas Ferencik – 20 Jahre Katholische Hochschulgemeinde
Pater Thomas Ferencik, geboren 1965 in Halle an der Saale, war bereits ab 14 sehr aktiv in seiner Pfarrgemeinde, war dort Jugendsprecher und machte Musik in einer Band. Nachdem die Stasi auf seine Aktivitäten aufmerksam wurde, blieb es ihm verwehrt, sein Abitur zu machen. Nach einer Lehre zum Wirtschaftskaufmann absolvierte er im Anschluss parallel zu seiner Arbeit das Abendgymnasium. Dies ermöglichte ihm, 1986 für die Franziskaner sein Theologie-Studium in Berlin aufzunehmen. Auf Intervention eines führenden Geistlichen wurde er nicht wie erwartet zur Nationalen Volksarmee (NVA) eingezogen und konnte so sein Noviziat beginnen. 1995 wurde Thomas Ferencik zum Priester geweiht. Nach acht Jahren als Kaplan in Dortmund folgte im Oktober 2002 der Ruf zur Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) nach Hamburg, die als Ort kirchlichen Lebens zur Pfarrei Heilig Geist zählt. Wie und mit welchen Erfahrungen er diese seit 20 Jahren leitet, schilderte er Nicola Sauter-Wenzler im Interview.
Thomas, beschreibe der SPIRIT-Leserschaft bitte erst einmal ganz allgemein das Leben in der KHG.
Unser Gemeindeleben in der Sedanstraße spielt sich in Semestern ab. Wir haben ein Gemeindeforum und einen sechsköpfigen studentischen Gemeinderat. Jedes Semester stellen wir unter ein Thema, das alle Resorts der Bildungsarbeit mit Vorträgen etc. prägt. Dazu kommen regelmäßige Gemeindeabende und Gottesdienste, gemeinsame Fahrten und Reisen, der interreligiöse Austausch sowie der mit anderen Gemeinden aus dem Bistum.
Wie oft feiert ihr diese?
Unter der Woche findet am Mittwoch ein Gottesdienst in unserer Kapelle für die Mitglieder der KHG statt, andere Gottesdienste an den Werktagen und sonntags. Allerdings denken wir nicht in Gottesdienst-Angeboten – die sind nur ein Baustein und gleichwertig zu anderen Teilen unseres KHG-Lebens wie Themenabend, Essen und weitere Aktionen.
Was füllt sonst Deine Arbeitstage?
Die meiste Zeit verwende ich auf die Organisation für Veranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit inklusive Facebook, Instagram, Homepage, Gutachten für Leute, die sich für ein Stipendium beim Cusanus-Werk bewerben. Dazwischen viele spontane Anfragen, die lebendig sind, wie das übliche Leben. Hier kriegt jeder zumindest erst einmal einen Kaffee. Meine Pastoral heißt sowieso: „Erst mal essen, dann schauen wir weiter!“.
Was liebst Du an Deiner Aufgabe besonders?
Das, was ich ständig erleben darf, wie kürzlich in Lübeck: Du stehst am Altar vorne und siehst vor Dir 60-70 Leute im Alter von 18 bis 28 Jahren – das erlebt kein Pfarrer in Hamburg! Das Leben in der KHG ist relativ beweglich, ich nenne es gern „fluktuativ“. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich nur mit jungen Leuten zu tun habe, die nicht so festgefügt sind, sondern gern experimentieren. Mit ihnen lässt sich viel besser Kirche gestalten. Dadurch lassen sich auch Gottesdienste ganz anders feiern. Außerdem neue Themen denken, neue Veranstaltungen planen. Man kann mit ihnen arbeiten, ohne dass jemand sagt, „das haben wir noch nie gemacht“. Das färbt natürlich auch auf meine Person ab, und das hält lebendig und jung.
Wie beschreibst Du den Glauben, der Dich prägt und leitet?
Mein Glaube kommt von der Schöpfungstheologie her und dem Appell Gottes „Macht Euch die Welt zunutze“. Dies beschreibt die Freiheit der Kinder Gottes, die Gott uns gegeben hat, die Welt zu formen und die Schöpfung zu erhalten. Die Gestaltung von Kirche und Umwelt treibt mich gleichermaßen um und an. Da sehe ich auch den Hauptauftrag von Christinnen und Christen. Es reicht nicht nur, sonntags in den Gottesdienst zu rennen – das ist für mich nur der Auftakt zu dem, zu dem ich berufen bin.
Hast Du den Eindruck, die Studierenden haben sich im Laufe der zwei Jahrzehnte verändert?
Die Leute, die vor 20 Jahren in der KHG waren, haben sich schon auch damals mit der Zukunft der Kirche beschäftigt, genauso wie jetzt. Die Leute, die in die KHG kommen, waren schon immer interessiert an der Gestaltung von Kirche und Gemeinden. Durch den synodalen Weg haben sich ihre Forderungen nur intensiviert.
Sind die Studierenden nach ihrer Zeit in HH und der KHG aus dem Auge, aus dem Sinn?
Im Gegenteil! Ich bin für nachhaltige Pastoral, ich bleibe dran. Auch wenn sie weg sind, bleiben wir in Kontakt. Ich werde regelmäßig angefragt für Hochzeiten und Taufen, auf diese Weise komme ich durch ganz Deutschland. Bei unserem Ehemaligen-Treff im Oktober mit Gemeinde-Abend, Barkassenfahrt und Flughafenbesichtigung waren mehr als 100 Leute dabei, die meisten kannte ich. In einer Pfarrgemeinde gehen alle hin und gehen wieder weg, bei uns sind sie ein Teil einer Gemeinschaft. Am Anfang meiner Tätigkeit hatte die KHG keinen sehr guten Stand im Bistum, das hat sich, denke ich, über den längeren Zeitraum verändert. Ich wünsche mir, dass gerade den Studentengemeinden die Eigenständigkeit – Raum, Struktur – zugestanden wird, zu experimentieren und immer wieder Neues ausprobieren zu können.
Wie beschreibst Du Deine Rolle?
Ich bin die Konstante in der KHG. Dieser Ort ist mein Arbeitsplatz und Lebensplatz in einem. Die Arbeit motiviert mich immer wieder neu an, weiterzumachen. Es gibt zwar auch Wiederholungen, trotzdem sind die Aufgaben immer irgendwie neu. Mittlerweile denke ich, ich habe durch die KHG im ganz positiven Sinne eine einseitige Prägung. Dadurch bin ich aber auch aus dem traditionellen Tun der Kirche rausgewachsen und als Gemeindepfarrer daher nur sehr bedingt zu gebrauchen.
Die KHG hat als Ort kirchlichen Lebens eine Sonderrolle in unserem Pastoralen Raum. Welchen Rat erteilst Du vom Rand dieses Konstrukts?
Ich bin da ein bisschen radikal: Der Pastorale Raum hat jetzt die Möglichkeit, dadurch, dass mehrere Kirchen zusammenkommen, mehr zu experimentieren. Also nicht überall den ewig gleichen gewohnten Ablauf und die gleichen Formate anbieten, sondern die Chance nutzen, in den drei Gemeinden mal was ganz Neues zu machen, den Kirchenraum alternativ zu denken und mehr zielgruppenorientierte Angebote zu schaffen.
Wie lange, denkst Du, macht Dir genau diese Aufgabe noch Freude?
Noch lange. Wenn ich merke, dass ich an den Studis vorbeirede, höre ich auf. Bislang wird es aber immer noch besser – ich glaube, die Studierenden sehen in mir den „positiven Opi“. Und das finde ich gut.
Das Gespräch führte Nicola Sauter-Wenzler
Fotos: privat