Die Kirchenmusik lebt – Passionsandacht in Pandemiezeiten
Besetzung und Programm am 27. und 28.03.2021:
Linda Joan Berg und Constanze Liebert (Sopran), Sonja Boskou (Alt), Timo Rößner und Stefan Hahn (Tenor), Sönke Tams Freier (Bass), Barbara Hofmann (Violone), Johanna Veit (Orgel), Tom Kessler (Leitung), Dr. Pavlo Vorotnjak (Liturgie); Programm: Heinrich Schütz (1585–1672) – „Nacket bin ich vom Mutterleib gekommen“ (SWV 279) aus den Musikalischen Exequien und die Motette „Also hat Gott die Welt geliebt“ (SWV 380).
Dauer ca. 40 Minuten
Über die Lage des St.-Antonius-Chores und die Passionsandachten, die ein helles Licht in der kulturell doch recht dunklen Zeit setzen, sprach Matthias Albaum mit dem Leiter des Chores, Tom Kessler.
Lieber Tom, wie geht es dem St. Antonius Chor? Wie seid ihr durch das letze Jahr gekommen?
Der Chor befindet sich derzeit wie so viele andere Chöre und Musikgruppen in einer Zwangspause. Der Sommer letzten Jahres schuf zunächst einen Hoffnungsschimmer, mit einem penibel erarbeiteten Hygiene-Konzept unter strengen Auflagen wieder zum Proben zusammenzukommen. Das haben wir dann auch für zwei Monate getan und weiter an dem Oratorium „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn gearbeitet, das eigentlich schon im Juni 2020 zum 20. Jubiläum des St. Antonius Chores aufgeführt werden sollte. Mit den dann erneut verschärften Regelungen des zweiten Lockdowns wurden unsere Präsenzproben bis zum heutigen Tage ausgesetzt. Nur Berufsmusikern ist das gemeinsame Proben derzeit noch gestattet.
Damit die SängerInnen des Chores ihre Stimmen nicht ganz „einrosten“ lassen, habe ich jetzt damit begonnen Videos zu erstellen, mit denen zuhause die Stimme wieder „geölt“ und die Gesangtechnik aufgefrischt werden kann.
Wie sieht Eure Planung für den Rest des Jahres aus? Was geht, was nicht?
Obwohl es aktuell unwahrscheinlich ist, habe ich gehofft, dass wir relativ bald nach Ostern wieder in die Probensituation vom vergangenem Herbst kommen. Die Schöpfung ist bis auf weiteres ins nächste Jahr ohne einen neuen Termin verschoben. Doch gibt es die Idee, kurz vor den Sommerferien im Juni ein „Best of St. Antonius Chor“ – Konzert auf dem Schulhof der St. Antonius Schule zu geben.
Zur Aufführung kommen sollen Stücke, die der Chor in den letzten Jahren für Konzerte und Gottesdienste erarbeitet hat und so einen Querschnitt durch das Repertoire des Chores zeigen. In den fünf Jahren meiner Chorleiter-Tätigkeit hat sich da einiges angesammelt: Musik des Barocks, der Romantik und der Moderne aus ganz unterschiedlichen Musiktraditionen. So sind Stücke von sehr prominenten Komponisten wie Bach, Schütz und Mendelssohn dabei, aber auch zumeist unbekannte Komponisten aus Deutschland, England und skandinavischen Ländern. Moderne Klänge eines Hugo Distler oder Ola Gjeilo werden klassischen Choralsätzen oder Gospels gegenüber gestellt. Die Musikwelt hat unglaublich viel zu bieten und es bereitet uns allen Freude, diese verschiedenen Stile zu entdecken und unserem Publikum darzubieten. Hoffen wir, dass das Best-of-Konzert trotz Corona möglich sein wird.
Ein weiterer Termin wäre der Festgottesdienst zur Gründung der neuen Pfarrei „Heilig Geist” in St. Bonifatius am 3. Advent. Ein solcher Anlass schreit förmlich nach jauchzendem Gesang zum Spiel von Pauken und Trompeten. Ob es auch musikalisch eine orchestrale Festmesse oder eine Vertonung des „Te Deum” gibt, haben wir noch nicht festgelegt. Unser großer Wunsch ist, dass wir diesen Gottesdienst gemeinsam mit der St. Bonifatius-Kantorei gestalten und so ein großer Chor die Kirche zum Klingen bringt!
An Palmsonntag hast Du zusammen mit Pastor Vorotnjak in St. Antonius jeweils vor den Abendmessen zwei musikalische Passionsandachten mit Musik von Heinrich Schütz veranstaltet. Wie kam es dazu?
Einer meiner absoluten Lieblingsaufgaben als Musiker ist es Programme zusammenzustellen. Ein großes Werk oder viele einzelne Stücke zu einem großen Ganzen zu vereinen, sei es als Chorleiter für ein Konzert oder als Sänger für einen Liederabend. Im Rahmen einer „Musikalischen Exequien” von Heinrich Schütz eine zentrale Rolle eingenommen. Vor einigen Jahren habe ich den Part des Basssolisten in Lübeck singen dürfen. Seit dem bestand der Wunsch, die Exequien einmal selbst zu dirigieren. Leider ließ sich dieser Wunsch mit dem St. Antonius Chor aufgrund seiner Größe und Besetzung nicht verwirklichen: der erste und größte Teil, der in den Passionsandachten zur Aufführung kam, verlangt durchgehend einen sechsstimmigen Chor. Wo ich die Frauenstimmen gerade noch so hätte teilen können, wäre es mir unmöglich gewesen, einfach wegen der geringen Anzahl an Sängern, die Männerstimmen in die beiden Tenöre und den Bass aufzuteilen. Der zweite Teil verlangte einen vierstimmigen Doppelchor: Zwei gleichwertige Chöre, die jeweils ganz klassisch vierstimmig singen. Hierfür hätten wir einen zweiten Chor gebraucht. Der dritte Teil benötigte erneut eine Dreiteilung der Männerstimmen. Kurz: die Exequien waren fürs Erste vom Tisch.
Wie wir alle wissen und gerade wir Musiker schmerzlich am eigenen Leibe erfahren, liegt das gesamte kulturelle Leben Corona-Pandemie bedingt darnieder. Dies bedeutet für uns bis auf sehr wenige Ausnahmen ein totales Arbeitsverbot. Damit verbunden sind finanzielle Einbußen, die in dieser Form niemand erwartet hätte. Viele Musiker haben bereits den Beruf gewechselt und es ist fraglich, ob sie überhaupt jemals wieder zurückkommen. Von der psychischen Belastung einmal ganz zu schweigen. Mir war es daher ein Bedürfnis, wenn auch nur für wenige, etwas zu unterstützen. Musizieren in Gottesdiensten ist noch möglich. Und dort, wo es die Räumlichkeiten hergeben, sollte man die Gelegenheit beim Schopfe ergreifen Musikern durch ein Engagement etwas Unterstützung und einen Auftritt vor anwesenden Zuhörern zu ermöglichen. Auch die Menschen lechzen und sehnen sich nach live gespielter und gesungener Musik.
Kurz vor Ostern hat sich also das Format einer musikalischen Passionsandacht, verbunden mit einem liturgischen Impuls durch einen der Geistlichen, in St. Antonius angeboten. Pastor Vorotnjak war sofort mit an Bord und die Exequien von Schütz sprangen mir sofort in den Kopf. Verbunden mit der Motette „Also hat Gott die Welt geliebt“ des selben Komponisten stand das Programm für mich auch sehr bald fest. So findet man in den Texten der Exequien alles, um was es in der Passionszeit mitunter auch geht: Warten, Bangen, Hoffen, Verzweifeln. Der Vers „Das Blut Jesu Christi […] machet uns rein von allen Sünden“ verweist uns auf das letzte Abendmahl am Gründonnerstag. Umgehend folgt die Zusage, dass uns durch ihm die Sünde vergeben und das Leben geschenkt wird. Der Text verweist mit „Weil du vom Tod erstanden bist, werd ich im Grab nicht bleiben” und „Halt dich an mich, es soll dir itzt gelingen, ich geb mich selber ganz für dich, da will ich für dich ringen. Den Tod verschlingt das Leben mein, mein Unschuld trägt die Sünde dein, da bist du selig worden” bereits auf Jesu Auferstehung an Ostern und lässt uns sowohl jetzt während der Heiligen Woche, als auch darüber hinaus für unser ganz eigenes Leben hoffen und zuversichtlich sein. Und genau diese Hoffnung und Zuversicht brauchen wir in Zeiten, wie wir sie derzeit erleben, ganz besonders!
Welche Bedeutung haben die beiden Andachten für Dich und die Solisten?
Der oben bereits erwähnte finanzielle Teil ist nur das eine. Wir alle waren gezwungen, viel vor Kameras und Mikrofonen zu stehen. Das ist mit dem Musizieren vor einem Publikum überhaupt nicht zu vergleichen. Zum einen hat uns die Tiefe und Komplexität der Musik von Heinrich Schütz selbst unglaublich tief berührt. Doch die Tatsache dies in Anwesenheit von anwesenden Zuhörern zu tun, hebt es auf eine ganz andere Ebene. Wir Musiker brauchen unserer Zuhörer. Direkt vor uns, nur wenige Meter entfernt. Da werden in diesem Moment Energien freigesetzt und entfesselt, die man nur schwer in Worte fassen und benennen kann. Die Luft knistert und es liegt eine Spannung im ganzen Raum. Wer am Palmsonntags-Wochenende in St. Antonius dabei sein konnte, wird bestätigen, dass es im Raum mucksmäuschenstill war. Die Leute haben aktiv zugehört, waren emotional eingenommen und haben die Spannung mitgetragen und aufrecht erhalten. So wie in diesen beiden Andachten, habe ich es selten im Opern- oder Konzerthaus erlebt.
Wir sind zutiefst dankbar, dass die Gemeinde uns und den Anwesenden dieses große Geschenk gemacht und diese Andachten ermöglicht hat. Wir hoffen alle, dass die Pandemie bald ihr Ende findet. Doch bis dahin, würden wir uns den ein oder anderen ähnlichen Moment wünschen. Viele Rückmeldungen sprachen von „Balsam für die Seele“. Ich wünsche mir sehr, dass dieser Balsam uns stärken und auch den letzten Weg dieser Reise durchs Ungewisse unserer Zeit tragen wird.
Die Fragen stellte Matthias Albaum
Kurze Vita Tom Kessler:
Geboren und aufgewachsen in Hamburg, ist der 28-Jährige seit Herbst 2015 Chorleiter des St. Antonius Chors. Er studierte zunächst Kirchenmusik in Hamburg, ehe er ein Gesangstudium in Lübeck aufnahm. Derzeit setzt er seine Studien im Masterstudiengang bei Prof. Thomas Mohr und Prof. Krisztina Laki in Bremen fort.
In Hamburg wirkt er als freiberuflicher Kirchenmusiker, als Sänger zudem im norddeutschen Raum. Schwerpunkt seiner Sängertätigkeit umfasst das Konzertfach mit Oratorien, Kirchenmusik und Liederabenden. Szenisch stand er zuletzt als Ensemblemitglied der Lübecker Sommeroperette auf der Theaterbühne. Mit der Gemeinde St. Antonius besteht für die Chorarbeit eine feste Honorarvereinbarung. www.tomkessler-gesang.de